Noch einmal dem Opa sagen, dass man ihn lieb hat. Der Mutter danken, dass sie so oft nachsichtig und geduldig war. Die Schwester um Verzeihung bitten, dass man im Streit auseinander gegangen ist. Den Vater um Rat in einer Beziehungskrise bitten.
Einfache Worte und Gesten, die aber oft nicht gesagt und getan werden. Eines Tages ist es dann zu spät – Krankheit, Unfall, Tod nehmen die Liebsten und hinterlassen eine traurige Lücke. Wäre es da nicht wunderbar, noch eine Chance zu haben, die verpassten Gespräche nachzuholen?
Die digitale Wiederauferstehung
Microsoft überrascht unlängst mit der Anmeldung eines Patents (hier geht es zum Original-Dokument), das genau dieses Bedürfnis decken kann. Hier heißt es, dass durch Zugriff auf soziale Daten einer Person, z.B. Bilder, Stimmdaten, Social Media-Postings, Briefe etc.) ein so genannter „special index“ kreiert werden kann. Mit Hilfe dieses Indexes wird wiederum ein Chatbot trainiert, stellvertretend für den Datenspender zu interagieren. Weiterhin stellt Microsoft Aussicht, auf Basis der gesammelten Stimm- und Bilddaten ein 2D- oder 3D-Abbild zu erstellen. Erleben wir bald die Geburt unseres digitalen Avatars, der unsere Endlichkeit beendet?
Me, myself and I… and my digital me
Genaue Planungen seitens Microsoft sind noch nicht bekannt (zuletzt dementierte Microsofts Jurist Tim O’Brien jegliche Pläne, mit einem ähnlichen Projekt namens „Tay“ ist Microsoft 2016 übrigens bereit einmal gescheitert), doch bietet der Inhalt der Patentschrift Raum für Spekulationen. So könnten laut Microsoft lebende und verstorbene Personen, Persönlichkeiten der Gegenwart und Vergangenheit, sowie auch historische oder sogar fiktionale Charakter mit der entwickelten Technik zum Leben erweckt werden. Mittels künstlicher Intelligenz kann das Programm auf Basis der gesammelten Daten eine Persönlichkeit imitieren und selbstständig lernen, diese um fehlenden Aspekte zu vervollständigen. Der so geschaffene digitale Zwilling kann dann mit Lebenden interagieren. Auf Fragen antwortet der Avatar wie sein Vorbild es tun würde oder getan hätte, er simuliert Emotionen und wirkt damit echt.
Nachricht von Sam
Gespräche, die für immer verstummt wären, könnten so wiederaufgenommen werden. Auf den ersten Blick ein tröstender Gedanke. Nicht Gesagtes kann noch ausgesprochen werden, offene Fragen beantwortet werden. Für viele Menschen kann dies eine Möglichkeit sein, in der Trauer um verlorene Angehörige und Freunde Trost und Hilfe zu finden. Die Endgültigkeit auszuhebeln ist ein Wunsch, den viele in diesem Moment hegen. Nicht umsonst wird dieses Motiv oft in Literatur und Film verarbeitet. Zuletzt auch in Verbindung mit den aufkommenden Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz. So nutzt eine junge Frau beispielsweise in der Folge „Be right back“ der Erfolgsserie „Black Mirror“ den Chatbot ihres verstorbenen Freundes, um ihn über ihre Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen. Eine Chance, dieses Glück zu teilen, die ihr mit dem echten Freund verwehrt worden war.
Digitaler Klon als persönlicher Assistent
Doch nicht nur in der der Interaktion mit Verstorbenen kann ein „digitales Ich“ nützlich sein. Auch zu Lebzeiten kann die Schaffung eines digitalen Klons ein Mehrwert schaffen (siehe auch das Projekt BeANKH*). Nie mehr stundenlangen Zeit mit Social Media verbringen – der Avatar liked und kommentiert für mich. Rechtzeitig und ohne Aufwand das richtige Geschenk für die Cousine bestellen – der Avatar kann sich alle Daten und Interessen merken und wählt das passende Geschenk aus. Ein gut angelernter Avatar kann viele Aufgaben übernehmen, im privaten, öffentlichen und beruflichen Alltag – und sie vielleicht sogar besser ausführen. Er chattet, kauft ein, bucht Reisen, koordiniert Termine, arbeitet. Damit schafft er uns Zeit für all die Dinge, für die wir sonst nie Zeit finden. Ein persönlicher Assistent, der uns kennt wie kein anderer und daher alles perfekt erledigt.
Billige Kopie?
Bleibt die Frage, ob ein Avatar, der auf Basis unserer digitalen Spuren erschaffen wurde, ein adäquater Ersatz einer Persönlichkeit sein kann. Sind wir nur die Summe unserer Daten? Ist es nicht der Zufall, die Unwägbarkeit, die Emotion, die das Menschliche ausmacht? Besteht Beziehung nicht aus mehr als Fragen und Antworten? Kann die algorithmisch erstellte Antwort meiner Oma – und sei sie noch so authentisch – ein echtes Gespräch ersetzen? Ist die Idee einer digitalen Persönlichkeit nur eine billige Kopie?
Das digitale Ich – Fluch oder Segen?
Neben philosophischen Fragen dieser Art stellen sich auch ethische und rechtliche Fragen.
Wenn ein Angehöriger mit dem Tod nicht endgültig aus dem Leben geschieden ist, kann der Wunsch nach Kontakt auch wahnhaft werden. Kann die reine Möglichkeit, Unendlichkeit zu erschaffen, daher ein Art Suchtverhalten auslösen?
Die Beendigung des digitalen Lebens wiederum wird in die Hände der Angehörigen gelegt. Welche Verantwortung bedeutet dies für die Nachkommen? Oder anders gefragt: Spielen wir damit nicht (digital) Gott?
Dazu kommen rechtliche Aspekte: Welche Rechte entwickelt eine künstliche Persönlichkeit? Wer wacht über die Daten nach dem Tod, wenn der Chatbot autark agiert? Welchen Einfluss kann ich im Vorfeld ausüben?
Diese und weitere Fragen fordern moralisch-rechtlichen Leitlinien, die den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz einen passenden Rahmen geben. Denn die Technologie ist an einem Punkt angelangt, an dem wir unseren digitalen Zwilling zum Leben erwecken können – Doch sind wir es auch?
* BeANKH ist ein Projekt der ankhlabs GmbH. Neben der SaaS-Lösung WeEncrypt, das Unternehmen und insbesondere Berufsgeheimnisträgern mit DSGVO-konformer E-Mail, Dateitransfer und Videokonferenzen befähigt, arbeitet das Startup aktuell an einer auf künstlicher Intelligenz basierenden App (Projekt TIQQLER) für Auto-Fans.